Dieser Blogartikel ist Teil eines Vortrags, den ich 2024 gehalten habe. Vielleicht ist das Thema zwischendurch etwas theoretisch aber es macht so klar, warum sich viele Menschen in der modernen Medizin verloren fühlen. Ich lade dich ein, mit mir diesen Aspekt zu entdecken, es lohnt sich! Er ist Teil meiner Mission, die moderne Medizin wieder ganzheitlicher zu machen.
Manchmal ist es der Rücken, der plötzlich zwickt. Oder das Herz, das zu stolpern scheint, ohne dass etwas „körperlich“ gefunden wird. Vielleicht ist es der Magen, der rebelliert – und das nicht nur nach dem Essen, sondern regelmäßig nach stressigen Tagen. In solchen Momenten spricht unser Körper. Und zwar in einer Sprache, die wir oft nicht gelernt haben zu verstehen: der Sprache unserer Seele.
Das Wort „psychosomatisch“ lässt viele zusammenzucken. Es klingt für manche nach: „Du bildest dir das nur ein“ oder noch schlimmer: „Bin ich schuld an meiner Krankheit?“.
Dabei bedeutet es eigentlich etwas ganz anderes – und viel Bodenständigeres. Es beschreibt, dass Körper (soma) und Psyche (psyche) untrennbar miteinander verbunden sind. Sie beeinflussen sich gegenseitig, jeden Tag, bei jedem Atemzug.
Doch was wäre, wenn wir den Begriff umdrehen würden und stattdessen vom „somatopsychischen“ sprechen würden? Plötzlich stünde der Körper am Anfang, als Ausgangspunkt, als Erzähler. Denn oft ist es der Körper, der als Erster Alarm schlägt, lange bevor wir selbst merken, dass etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist.
Wenn der Körper als erstes warnt
Nehmen wir das Beispiel eines leichten Herzinfarkts. Ein Moment, der oft alles verändert. Er kommt aber selten aus dem Nichts – meist kündigt er sich an mit Erschöpfung, Schlafproblemen, vielleicht einem ständigen Druckgefühl in der Brust, Unruhegefühlen, Appetitlosigkeit und anderes. Symptome, die wir oft ignorieren oder erklären mit „Ich hab einfach zu viel um die Ohren, ich brauche einfach mal wieder Urlaub“.
Bis der Körper sagt: Stopp. Jetzt hörst du mir zu!
Ein solcher Moment erschüttert grundlegend das Vertrauen in den eigenen Körper. Plötzlich ist da Unsicherheit, Angst. Was kommt als nächstes, wie sieht die Zukunft aus?
Und gleichzeitig ist es doch auch die Chance, genau hinzuschauen: Was war zu viel? Wo bin ich über meine eigenen Grenzen gegangen? Was passt einfach nicht mehr?
Sprache schafft Wirklichkeit – und Grenzen
Die Schulmedizin betrachtet den Körper präzise, analytisch – sie zoomt hinein, teilt auf in Systeme, Organe, Funktionen. Dieses Heranzoomen hat unzählige Leben gerettet und die moderne Medizin erst ermöglicht.
Aber es verliert manchmal den Blick für das Ganze, das Menschliche, das Nicht-Messbare. Die Psyche, die Biografie, das Empfinden, das Erlebte – all das bleibt oft außerhalb des medizinischen Raums. Dort beginnt der Bereich der Psychologen, der Coaches, der Therapeuten. Zwei Welten, zwei Sprachen.
Und genau hier liegt die Krux:
Die Trennung dieser Bereiche ist keine biologische Notwendigkeit – sie ist eine sprachliche und vor allem systemische Konstruktion.
Wir reden vom „psychosomatischen Leiden“, als sei das eine Sonderform, ein Ausnahmefall.
Dabei ist jedes körperliche Erleben auch seelisches Erleben. Und umgekehrt.
Vielleicht wäre es an der Zeit, diese Trennung in Frage zu stellen – nicht medizinisch sondern menschlich.
Bin ich jetzt auch noch „irre“?
Der Begriff „psychosomatisch“ trägt eine unsichtbare Last. Für viele Menschen bedeutet er: „Da ist nichts. Ich bilde mir das ein. Ich bin irgendwie selbst schuld.“
Und so steht man plötzlich da – mit echten Beschwerden, aber ohne greifbare Ursache.
Die Diagnose klingt nach einer Geste des Abwinkens, nach Resignation. Ein bisschen wie: „Tja, tut mir leid, das ist dann wohl psychosomatisch.“
Was übersetzt oft heißt: „Ich weiß es auch nicht. Und ich kann nichts für Sie tun.“
Und genau das macht etwas mit uns. Es verschiebt die Verantwortung. Und zwar nicht als befreiende Selbstermächtigung sondern als Ohnmacht.
Denn was soll man damit anfangen? Wo ist die Tür, durch die man dann weitergehen kann? Bin ich jetzt auch noch „irre“?
Sprache als Brücke statt als Sackgasse
Vielleicht brauchen wir eine neue Sprache. Eine, die Körper und Psyche nicht gegeneinanderstellt, sondern sie als zwei Ausdrucksformen eines zutiefst menschlichen Wesens. Vielleicht brauchen wir weniger Etiketten und mehr Geschichten. Weniger „Diagnosen“ und mehr Raum für Deutung. Nicht im Sinne von Beliebigkeit – sondern im Sinne von Tiefe.
Der Körper erzählt. Die Psyche horcht. Oder manchmal ist es umgekehrt.
Sie sind wie zwei Instrumente in einem Ensemble. Wenn das eine verstimmt ist, klingt das ganze Stück anders – selbst wenn die Noten stimmen.
Wir dürfen anfangen, diese Vielstimmigkeit zu hören. Und sie nicht länger in zwei verschiedene Räume zu sperren – den des Arztes und den des Therapeuten.
Was wäre, wenn nicht wir das Problem sind?
Es ist doch absurd, oder? Da steht ein Mensch mit echten Schmerzen im Raum – und je weniger sich diese Schmerzen in einem MRT oder auf einem Laborzettel zeigen, desto eher wandert er in eine Grauzone. In einen Zwischenraum, in dem nichts mehr greifbar ist. Nicht für den Arzt. Nicht für die Krankenkasse. Und oft: auch nicht mehr für den Menschen selbst.
Die Frage ist nicht, ob da etwas ist. Die Frage ist, warum wir so dringend einen sichtbaren Beweis brauchen, um etwas als „real“ gelten zu lassen.
Als wären wir nur dann krank, wenn man es messen kann. Nur dann erschöpft, wenn ein Wert im Blut auffällig ist. Nur dann berechtigt, Unterstützung zu bekommen, wenn es einen eindeutigen Befund gibt.
Diese Logik hat eine gefährliche Kehrseite: Was nicht nachweisbar ist wird zur Privatsache, zur Eigenverantwortung, zur Last. Und nebenher oft nicht nur persönlich sondern auch finanziell.
Wir sind Körper
Wir sprechen oft, als gäbe es uns und unseren Körper. Als wäre er ein Gegenüber. Ein Objekt, das funktionieren soll. Und wenn es das nicht tut? Dann ist entweder „etwas kaputt“ – oder „etwas psychisch“.
Aber das ist ein Denkfehler. Wir sind unser Körper. Wir sind unsere Geschichte, unsere inneren Spannungen, unsere unausgesprochenen Sätze, unsere gelebte Biografie.
Wenn unser Rücken schmerzt, spricht nicht „nur“ ein Muskel. Dann spricht vielleicht auch ein jahrelang getragenes „Ich muss stark sein“.
Wenn unser Herz stolpert, will es vielleicht gehört werden – in einer Zeit, in der wir ständig über unsere Grenzen gehen.
Das klingt nicht nach Schulmedizin. Und doch ist es nichts anderes als ein Aufruf, den Menschen als Ganzes zu betrachten. Nicht nur in seiner Funktion – sondern in seiner Menschlichkeit.
Sprache ist der Anfang von Heilung
Vielleicht braucht es eine neue Formulierung. Nicht „psychosomatisch“ – sondern soma und psyche als ein atmendes Ganzes.
Vielleicht braucht es eine Medizin, die sich nicht zwischen Organen und Emotionen entscheiden muss, sondern beides gleichzeitig halten kann.
Und vielleicht braucht es auch mehr Mut, über die Grenzen der eigenen Profession hinauszudenken. Ärzte, die nicht alles wissen müssen – aber die bereit sind, mit offenen Fragen zu arbeiten. Psychologen, die nicht alles analysieren müssen – aber Raum schaffen für das, was noch keinen Namen hat.
Und Menschen, die verstehen dürfen: Du bist nicht schuld. Aber du bist beteiligt. Und genau darin liegt deine Kraft. Denn du kannst und darfst Verantwortung für dich übernehmen.
Die Kraft der Zukunft
Vielleicht beginnt Heilung nicht mit einer Tablette. Nicht mit einer Therapie. Vielleicht beginnt sie mit einem neuen Blick auf uns selbst.
Ein Blick, der nicht trennt, sondern verbindet. Der nicht urteilt, sondern versteht.
Denn was, wenn deine Symptome keine Sackgasse sind sondern ein Ausdruck deiner inneren Intelligenz? Was, wenn dein Körper nicht gegen dich arbeitet, sondern für dich spricht – in einer Sprache, die du erst wieder lernen musst?
Dann wärst nicht du das Problem. Sondern die Enge der Schubladen, in die man dich gesteckt hat.
Es braucht Mut, diesen Raum zu betreten. Den Raum zwischen Schulmedizin und Psychologie. Zwischen Diagnose und Bedeutung. Zwischen Symptom und Sinn.
Aber genau dort, in diesem Dazwischen, liegt eine enorme Kraft. Eine Kraft, die den Menschen nicht länger in Einzelteile zerlegt – sondern ihn zusammensetzt. Stück für Stück. Wort für Wort. Erfahrung für Erfahrung.
Vielleicht ist es Zeit, eine neue Sprache zu entwickeln. Eine, die beides hält: das Herzklopfen und die Angst. Die Spannung im Nacken und das Gefühl, alles alleine tragen zu müssen. Die Leere im Magen und die Worte, die nie gesagt wurden.
Diese Sprache ist noch leise. Aber sie wächst.
Und wer ihr zuhört, hört vielleicht zum ersten Mal sich selbst.